Ein Zahlungsengpass, eine unterlassene Meldung oder ein schlecht dokumentierter Entscheid, und plötzlich haften Verwaltungsräte persönlich mit ihrem Privatvermögen. Was viele unterschätzen: In der Schweiz ist Organhaftung keine theoretische Gefahr, sondern Praxis. Verwaltungsräte und Geschäftsleitungsmitglieder haften, wenn sie ihre gesetzlichen Pflichten verletzen und die Gesellschaft, die Aktionäre oder (im Konkurs) die Gläubiger finanziell geschädigt werden. Umso wichtiger ist es zu wissen, wann Haftung droht und wie man sich schützt.
Wer kann haftbar gemacht werden?
Von der Verantwortlichkeit nach Art. 754 OR sind nicht nur die formellen Organe betroffen, wie Verwaltungsräte (VR) und die Revisionsstelle (RS). Die Haftung erstreckt sich auch auf materielle Organe und sogar auf sogenannte faktische Organe. Zu diesen zählen Personen, die tatsächlich unternehmerische Entscheidungen treffen oder massgeblich Einfluss ausüben, selbst wenn sie nach aussen nicht als Organe erscheinen.
Dazu gehören zum Beispiel:
- Geschäftsführer oder Direktoren mit vom VR delegierten Kompetenzen
- einflussreiche Grossaktionäre
- Personen, die aus irgendwelchen Gründen faktisch die Geschäftsführung steuern
- unter Umständen auch Einflussreiche Berater oder Kreditgeber
Klagen können nicht nur von der Gesellschaft selbst erhoben werden, sondern auch von Aktionären und Gläubigern.
Wann entsteht Haftung?
Damit ein Organ haftbar wird, müssen vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
- Eine Pflichtverletzung: Eine gesetzliche oder statutarische Pflicht wurde verletzt.
- Ein Schaden: Der Gesellschaft ist ein finanzieller Nachteil entstanden.
- Ein Kausalzusammenhang: Die Pflichtverletzung muss ursächlich sein für den Schaden.
- Ein Verschulden (vorsätzlich oder fahrlässig).
Die Kernpflichten der VR
Die Pflichten des VR ergeben sich primär aus dem Gesetz, den Statuten und Beschlüssen der Generalversammlung (GV). Zentral sind dabei die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben (Art. 716a Abs. 1 OR):
- die Gesamtleitung des Unternehmens
- die Organisation der Gesellschaft
- die Ausgestaltung von Rechnungswesen und Kontrolle
- die Überwachung der Geschäftsführung
Besondere Pflichten in der Krise
Geht es dem Unternehmen finanziell schlecht, steigt das Haftungsrisiko dramatisch, da besondere Eile geboten ist. Sobald Zahlungsprobleme auftreten, ist der VR verpflichtet:
- die Zahlungsfähigkeit laufend zu überwachen
- rechtzeitig Sanierungsmassnahmen einzuleiten
- bei Überschuldung und aussichtsloser Sanierung das Gericht zu benachrichtigen
Strategische Fehlentscheide führen nicht direkt zu einem Haftungsfall
Nicht jeder strategische Fehlentscheid führt automatisch zu einer Haftung. Die Gerichte anerkennen die sogenannte Business Judgement Rule:
Solange es sich um einen Geschäftsentscheid handelt, der auf sorgfältiger Basis gefällt wurde, frei von Interessenkonflikten ist und auf nachvollziehbaren Informationen beruht, wird das Gericht nicht urteilen, dass man es im Nachhinein besser wissen hätte müssen. Massgeblich ist nicht das Ergebnis, sondern der Entscheidungsprozess.
Wie können VR ihr Risiko minimieren?
Der beste Schutz ist aktives Handeln und saubere Organisation:
- rechtzeitige und fundierte Vorbereitung von Sitzungen
- kritische Prüfung bei Unterlagen
- vollständige und korrekte Protokollierung
- Entscheide klar dokumentieren
- schriftliches Organisationsreglement
- Zuständigkeiten eindeutig regeln
- Interessenkonflikte meiden oder managen (z.B. durch Stimmenthaltung)
Kurz gesagt: Wer sauber arbeitet, schützt sich.
Absicherung durch D&O-Versicherung
Eine Directors’ and Officers’ Liability Insurance (D&O-Versicherung) minimiert das finanzielle Risiko.
Sie deckt unter anderem:
- Schadenersatzforderungen,
- Kosten für Rechtsverteidigung,
Besagte Versicherung ist jedoch mit Vorsicht zu geniessen: Die D&O arbeitet nach dem sog. Claims-made-Prinzip. Versichert ist nur, was während der Laufzeit der Police geltend gemacht wird, nicht, was während der Tätigkeit passiert ist. Da Haftungsansprüche erst Jahre später entstehen ist, eine ausreichende Nachdeckung entscheidend. In der Praxis ist diese oft zu kurz. Auch im Konkursfall kann der Versicherungsschutz gefährdet sein, etwa wenn Prämien nicht mehr bezahlt werden.
Fazit
Organhaftung impliziert vor allem reales und persönliches Risiko. Solange man sich seinen Pflichten bewusst ist, alles sauber dokumentiert, Zuständigkeiten klar regelt und sein Versicherungsmanagement (D&O Police) im Griff hat, reduziert sich dieses Risiko erheblich. Im Gegensatz dazu sind Passivität, Unklarheit und schlechte Organisation die häufigsten Ursachen für Haftungsfälle.
